Erna Gerda Käte Mickoleit
Girda Urbelytė |
Lucie Mickoleit
Liucija Mykolaitytė-Mikutienė |
„Nach dem Wiedersehen mit meinen Geschwistern wurde mir klar, dass wir uns mehr bei der Hand nehmen und im Gänsemarsch über unseren riesigen Hof laufen werden. Den Hof, unsere fleißigen Eltern und unsere kleinen Hände gibt es nicht mehr. Wir existieren dort nicht mehr und niemand wartet mehr auf uns. Wir waren nicht bei der Totenfeier unserer Mutter, weil es keine gegeben hat. Wir haben unseren Vater nicht wiedergesehen, weil er uns nicht dort gesucht hat, wo wir tatsächlich waren.“
Lucie (geb. am 29. August 1937) und Erna Gerda Käte Mickoleit (geb. am 16. Mai) wurden im ostpreußischen Unter Eißeln (1938 - 1947 Untereißeln, heute Bolschoje Selo) als Kinder von Franz und Erna Käthe Mickoleit geboren. Am 10. Februar 1941 kam der Bruder Herbert Mickoleit zur Welt. Die Eltern waren wohlhabende Landwirte im Besitz von mehren hundert Hektar Land, eigener Landwirtschaftstechnik und großen Wirtschaftsgebäude. Sie beschäftigten einige Angestellte.
Franz Mickoleit setzte seine landwirtschaftliche Tätigkeit auch nach Beginn des 2. Weltkriegs fort. Er hoffte, dass der Krieg schnell enden und ihr Leben nicht beeinträchtigen würde.
Es kam anders. Im Sommer 1944 schickte Erna Käthe Mickoleit die Kinder Lucie, Erna Gerda Käte und Herbert zu ihrer Schwägerin nach Ludwigshafen. Weil es jedoch bereits im Herbst nirgends mehr sicher war, wurden die Kinder von der Tante wieder zurück zu den Eltern gebracht. Im Winter 1945 zog Franz Mickoleit mit der ganzen Familie in das 20 km von Unter Eißeln entfernte Kindschen um. Dort erwarteten sie am 19. Januar 1945 die „Befreier.“ Franz Mickoleit wurde von sowjetischen Soldaten mitgenommen. Einige der Männer aus dem Dorf wurden auf der Stelle erschossen. Zugleich begannen die Soldaten, die Frauen zu vergewaltigen und zu morden.
Erna Käthe Mickoleit wurde am 20. Januar 1945 vergewaltigt und anschließend umgebracht. Sie war nach Haus zurückgekehrt, um dort die nötigsten Haushaltsgegenstände zu holen. Lucie Mickoleit erinnert sich: „Da unsere Mutter nicht zurückehrte, sind wir losgegangen, um nach ihr zu sehen. Uns bot sich ein Anblick des Grauens: hinter dem Stall lag Mutters Bruder, Onkel Arno. Sie hatten ihn erschossen. Daneben lagen unsere Mutter und das ukrainische Kindermädchen mit blutigen Köpfen unter einer grünen Decke. Wir haben nicht geweint, sondern gekreischt. Da es niemanden gab, der sie begraben konnte, haben wir unsere Mutter dort unter einer Decke zurückgelassen.“
Kurz danach begann man, alle noch lebenden Kinder einzusammeln. Lucie, Erna Gerda Käte und Herbert wurden auf einen LKW geworfen und in ein Lager in Tilsit gebracht. Lucie erinnert sich: „Das erste, was wir sahen, waren Gräben, Soldaten und ein riesiges Stalinporträt. Das war das Lager. Da haben wir uns dann Läuse eingefangen.“
Einige Zeit später wurden alle Lagerinsassen auf die Straße gejagt und vorwärts gescheucht – wohin, wussten sie nicht. Nach einigen Tagen erreichten sie Kybartai. Sie kamen abermals in ein Lager. Auch hier wurde gehungert. Lucie erzählt: „Wir haben versucht, unter dem Zaun hindurchzukriechen um Sauerampfer zu pflücken, aber die Soldaten haben uns nicht gelassen, wir wurden ja bewacht. Herbert gelang schließlich die Flucht.“
Bad darauf trennten sich die Wege von Lucie und Erna Gerda Käte, weil man begonnen hatte, die Kinder im Lager „aufzuteilen.“ Eine gewisse Lenė Štrangulis nahm Lucie Mickoleit mit nach Klaipėda.
Erna Gerda Käte wurde von Viktorija Kaminskaitė mitgenommen, die sie zu ihren Eltern nach Kelmė brachte. Bad darauf geriet Erna Gerda Käte an die Familie Urbeliai. Sie erinnert sich: „Hier bekam ich zum ersten Mal wieder ausreichend zu essen und konnte in einem Bett schlafen. Ich wusste schon nicht mehr, was das ist. Und von da an hieß ich Girdutė Urbelytė.“ Die Pflegeeltern von Girda Urbelytė zogen mehrmals um, doch sie kümmerten sich darum, dass das Mädchen die Schule besuchen und später einen Beruf ergreifen konnte.
1949 besuchte sie zunächst eine russische Schule, ein Jahr später kam sie auf die Schule in Riešė (heute Rajongemeinde Vilnius), danach besuchte sie Schulen in Zarasai und Vilnius. Von 1957 bis 1963 studierte sie auf der Fakultät für Bauwesen des Polytechnischen Instituts Kaunas. Nach Abschluss des Studiums arbeitete sie in Planungsinstituten in Kaunas und Vilnius.
Sie heiratete und bekam mit ihrem Mann eine Tochter und einen Sohn.
Lucie und Herbert, die Geschwister Girdutė Urbelytė, hatten weniger Glück.