Hans Heinrich
Genius Balaika
„Die Narben des Krieges heilen nie mehr.“
Hans Heinrich wurde am 3. April 1939 in Groß Guja, einem Dorf in Ostpreußen, als Sohn von Willi und Ella Heinrich geboren. Außer ihm gab es die beiden Brüder Hans und Günter. Die Eltern waren wohlhabende Landwirte, die eine 100 ha große Fläche mit Mühle und einem schönen Garten bewirtschaften und einige Angestellte beschäftigten.
Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges wurde Willi Heinrich eingezogen.
Die Mutter Ella Heinrich gelang es, mit den Söhnen Hans und Günter nach Hamburg (Deutschland) zu fliehen. Hans Heinrich ließ sie zurück und brachte ihn in einem Nachbarort bei der Großmutter Anna Lange und den Tanten Frieda und Grete unter. Die Tanten hielt er lange Zeit für seine Schwestern. Bald darauf flüchteten sie gemeinsam vor der herannahenden Front. „Die russischen Soldaten haben uns eingeholt und alles abgenommen. Wir gingen zu Fuß, vor allem Alte, Frauen und Kinder.“ Die Großmutter von Hans Heinrich, die alles verloren hatte, kehrte mit den Töchtern wieder zu ihrem Haus zurück, fand dieses jedoch geplündert vor. Da es ihnen zu unsicher erschien dort zu übernachten, zogen sie weiter und stiegen stattdessen in einem verlassenen Haus ab. Dort wollten sie sich im ersten Stock einrichten, damit die Soldaten sie nicht finden. Sie fanden sie dennoch. Anna Lange schob Frieda und Grete zusammen mit Hans aus dem Fenster. Sie selbst blieb dort. „Die ganze Nacht lagen wir halbnackt im Gebüsch. Erst am Morgen konnten wir weitergehen.“ Kurz darauf begann die Hungersnot, der als erste die Großmutter Anna Lange zum Opfer fiel. „Ich habe sie in ein Laken oder ein Stück Tuch gewickelt und zu Grabe getragen.“ Danach kamen Hans Heinrich und die Tanten bei einer älteren Frau unter. Die Tanten verließen eines Tages das Haus und kehrten nicht mehr zurück. Darauf blieb Hans allein unter fremden Menschen zurück. Die unbekannte Frau sagte zu ihm: „Lass uns dahin fahren, wo wir etwas zu Essen bekommen.“ Hans erinnert sich: „Wir fuhren lange mit verschiedensten Passagier- und Güterzügen. Wenn wir aus dem einen hinaus gejagt wurden, stiegen wir auf den nächsten. Wir fuhren durch große, bereits zerstörte Städte und gelangten schließlich nach Litauen.“
Dort begann Hans lange Wanderung durch Litauen (die heutigen Bezirke Vilkaviškis und Marijampolė). Die Frau, die ihn dorthin gebracht, befahl ihm morgens betteln zu gehen, um abends mit etwas Essbarem zurückzukehren. „Manchmal bekam ich etwas, manchmal jagten sie mich davon und hetzten sogar die Hunde auf mich.“ Nach einiger Zeit beschloss Hans, nicht mehr zu der Frau zurückzukehren. Darauf fand er Obdach bei einem Bauern, der ihn die Gänse hüten ließ. Das war im Sommer 1948. In dieser Familie begann man ihn Genius zu nennen. Bei ihnen lernte er auch Litauisch sprechen. Im Herbst des gleichen Jahres kam Genius nach Geležiniai (heute Rajongemeinde Marijampolė) zu dem Bauern Juozas Kavaliauskas. „Bei ihm musste ich Kartoffeln lesen und Kühe tränken, am Abend habe ich Federn gerupft und Wolle gekrempelt. Kurz vor Weihnachten kamen irgendwelche Leute angefahren und der Kavaliauskas hat schickte mich mit ihnen in die Rajongemeinde Prienai.“ Doch die Familien von Petras Jasiulevičius und Leonas Mačiulis, die ihn mit sich genommen hatten, wollten kein fremdes Kind aufnehmen, weshalb Genius weiterziehen musste und schließlich zur Familie von Kazys und Konstancija Bubniai gelangte. K. Bubnienė erinnert sich: „1948 gegen Weihnachten tauchte bei uns ein so sechs- bis siebenjähriger Junge auf. Er hat in gebrochenem Litauisch gefragt, ob wir ihn aufnehmen und auf unser Kind auspassen lassen. Er hat daraufhin auf unsere kleine Tochter aufgepasst und im Frühjahr die Gänse gehütet. 1949 haben wir ihn während der Heuernte gescholten und er ist weggelaufen.“