Ruth Deske (Rūta Birutė Tamutytė-Deskaitė-Gorienė)

Ruth Deske

Ruth Deske

Rūta Birutė Tamutytė-Deskaitė-Gorienė

 

Ihre Mutter trug ihr auf: „Lass deine Geschwister nicht allein. Kümmere dich um sie.

 

Ruth Deske wurde am 15. März 1933 in Ellernbruch, einem Dorf in Ostpreußen, als Tochter des Bauern Ludwig Deske und seiner Frau Frieda geboren. Die Schwester Helga wurde am 8. Februar 1936 geboren, am 10. Juli 1937 der Bruder Siegfried, und am 30. Mai 1943 der Bruder Karl-Heinz.

Gleich zu Beginn des 2. Weltkrieges wurde der Vater Ludwig Deske an die Front geschickt. Er wurde mehrmals verwundet und kurierte sich zu Hause aus. Im Sommer 1943 fuhr er zum letzten Mal an die Front. „Kurz darauf schrieb er uns, er befinde sich in Russland in einem großen Wald, seine Truppe sei umzingelt und allein Gott wisse, was geschehen würde. Später teilte man uns mit, dass er verschollen sei.“

Im Februar 1945 kamen deutsche Soldaten zum Haus von Frieda Deske. Sie befahlen ihr, die notwendigsten Sachen einzupacken und mit den Kindern das Haus zu verlassen, da die Front auf dem Vormarsch sei. „In unser Haus sind wir nie mehr zurückgekehrt, denn danach gab es das Dorf nicht mehr. Er wurde zerstört und in Brand gesetzt.“

Frieda Deske begab sich mit ihren Kindern wie Hunderte anderer Flüchtlinge zum Pillauer Hafen. Dort wartete ein bereits überfülltes Schiff, das zum Auslaufen bereit war. Frieda Deske beschloss jedoch, nicht an Bord zu gehen. „Meine Mutter ahnte das kommende Unglück. Sie sagte: 'Das Schiff kann attackiert werden und untergehen. Wir fahren nicht mit'.“ Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Nachdem das Schiff den Hafen verlassen hatte, wurde es von Sowjets beschossen und alle Passagiere ertranken.

Frieda Deske und die Kinder fuhren daraufhin von Pillau mit dem Zug nach Rauschen zu Friedas Schwester. Hier wurden sie und andere Familien von sowjetischen Soldaten angehalten. Einer der Soldaten bedrohte sie mit einem Maschinengewehr und befahl Frieda Deske, ihm zu folgen. „Meine Mutter gehorchte. Eine Weile später kam sie weinend, mit zerrissenen Kleidern und Spuren von Schlägen zurück. Danach kamen die Soldaten fast jede Nacht scharenweise an, weil sie eine Frau wollten.“ Nach diesen schrecklichen Erlebnissen schnitt die Mutter Ruth die Haare ab und kleidete sie wie einen Jungen, damit die Soldaten nicht auf sie aufmerksam würden und sie ebenfalls vergewaltigten.

Im Mai 1945 waren die Straßen bereits überfüllt mit flüchtenden Zivilisten. Unter ihnen war auch Frieda Deske mit den Kindern und der schwächelnden Mutter. Sie gingen wieder nach Ellernbruch, doch ihr Zuhause war bereits von sowjetischen Soldaten bewohnt. Sie mussten daher woanders unterkommen. Kurz darauf wurde Frieda Deskes Mutter vergewaltigt und ermordet. Die sowjetischen Soldaten hatten der 73-jährigen den Kopf abgeschnitten.

Im Herbst 1945 begannen die Menschen zu hungern. Ruth Deske zog mit ihrer Schwester Helga los, um etwas Essbares zu suchen. Sie gruben auf dem Feld erfrorene oder verfaulte Kartoffeln aus, fingen Katzen, Hunde und Ratten oder suchten nach bereits verendeten Kühen und Pferden.

Nachdem sie im Frühjahr 1946 den ersten Hungerwinter überstanden hatten, trieben sowjetische Soldaten sie zum Arbeiten aufs Feld. Frieda Deske arbeitet zusammen mit ihrer Tochter Ruth. Als Entlohnung erhielten sie ein wenig zu Essen. Im Herbst gab es keine Arbeit mehr und sie mussten erneut hungern. „Die Bäuche der Kleinen waren ganz aufgebläht, die Frauen schwankten beim Gehen und mussten sich abstützen. Dann schlug jemand vor, nach Litauen zu fahren.“ Ruth beschloss, zu fahren. Zunächst kam sie nach Tauragė. Hier blieb sie zwei Wochen, um zu betteln und Essen für die Daheimgebliebenen zu besorgen. Bei ihrer Heimkehr erfuhr sie, dass ihre Mutter schwer an Typhus erkrankt sei. „Am 8. März 1946 starb meine Mutter. Sie war 35 Jahre alt. Ihre letzten Worte waren, dass sie so gern wenigstens einen kleinen Bissen Brot hätte. Danach hat sie mich bei der Hand genommen und gesagt, dass ich die Älteste sei und die Kleinen nicht im Stich lassen dürfe. Ich habe ihr versprochen, mich um die Kleinen zu kümmern.“ Nachdem die Mutter gestorben war, wickelten die Kinder sie in ein Stück Leinen, brachten sie auf den Friedhof und begruben sie im Schnee. „Da lagen Hunderte von Leichen herum. Niemand die hatte Kraft, für sie Gruben auszuheben.“

Ruth Deske blieb allein mit ihr Schwester und den zwei Brüdern zurück. Eine Verwandte riet ihr, den jüngeren Bruder Karl-Heinz bei ihr zu lassen, und mit Helga und Siegfried nach Litauen zu fahren, um sie dort an jemanden abzugeben.

1947 gelangte Ruth Deske mit ihrem Bruder und der Schwester bettelnd nach Viduklė und dann nach Tytuvėnai (beide heue Rajongemeinde Kelmė). In Jagminiškės (heue Rajongemeinde Kelmė) ließ sie ihren Bruder Siegfried zurück, in Kiaunoriai (heue Rajongemeinde Kelmė) ihre Schwester Helga. Sie besorgte weiter Nahrungsmittel und bemühte sich immer, es so schnell wie möglich dem kleinen Bruder Karl-Heinz zu bringen.

Auf diese Weise bettelten sie sich bis zum Frühjahr 1948 durch. Im Mai 1948 wurden die Pflegeeltern ihrer Schwester Helga nach Sibirien verbannt und Helga kam in Gorolai (heute Vijurkai, Rajongemeinde Kelmė) bei einem Bauern unter, der sie schlug und unmenschlich viel arbeiten ließ. Die Frau, die sich um den jüngeren Bruder Karl-Heinz gekümmert hatte, sagte Ruth, sie solle ihn von nun an mit sich nach Litauen nehmen. Ruth zog daraufhin mit dem kleinen Bruder Richtung Šiauliai. Sie gelangten schließlich nach Blūžgalis (heute Rajongemeinde Šiauliai), zu Stasė und Antanas Tamučiai. Die beiden wurden die Pflegeeltern von Ruth und Karl-Heinz.

1949 erhielt Ruth Deske eine Geburtsurkunde auf den Namen Rūta Birutė Tamutytė, später einen Pass auf den Namen Birutė Deskaitė. Der Bruder Karl-Heinz erhielt einen provisorischen Pass auf den Namen Antanas Deskus, der bis zum Jahr 1965 Gültigkeit hatte. Im Pass gab es einen Vermerk, dass er staatenlos ein. Solche Personen mussten sich jeden Monat bei der Miliz melden. Der Leiter der Miliz monierte jedes Mal, wenn Karl-Heinz vorstellig wurde, dass „in unserem sowjetischen Staat immer noch Faschisten anzutreffen“ seien.

1953 heiratete Rūta Birutė Vaclovas Gorys. 1954 gebar sie die Tochter Irena. 1957 begann sie zusammen mit dem Mann in der Fortwirtschaft zu arbeiten, 1973 zogen sie um nach Šiauliai. Helga, die Schwester von Rūta Birutė Tamutytė-Deskaitė-Gorienė, und ihr Bruder Siegfried Deske wuchsen bei dem Pflegevater Bronislovas Tamašauskas auf.

Bereits 1959 hatten Rūta Birutė Angehörigen in Deutschland begonnen, sie über das Rote Kreuz suchen zu lassen. Eine Genehmigung für ein Treffen erhielt sie jedoch erst 1975. Viele Jahre später hat sie auch ihr Heimatdorf wieder besucht. Dort war bereits alles dem Erdboden gleich. „Ich wollte das Grab meiner Mutter finden, um mich vor ihr und ihrem Leid zu verneigen und zu sagen 'Mama, ich habe mein Wort gehalten'.“

Am 2. Februar 2009 wurde Rūta Birutė Gorienė der Rechtsstatus als Besatzungsopfer (ehemals obdachloses Kind) zuerkannt.

Rūta Birutė Gorienė starb 9. Juni 2018.

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