Bernhard Keusling

Bernhard Keusling

Bernardas Kizlingas

 

Ich war sieben, als ich nach Litauen kam. Ich habe wie ein Knecht geschuftet und viel Leid erfahren.

 

Bernhard Keusling wurde am 30. Oktober 1936 im ostpreußischen Gerdauen als Sohn von Franz und Else Keusling geboren. Außer ihm gab es noch die jüngere Schwester Ilse.

Franz Keusling wurde gleich zu Kriegsbeginn eingezogen und fiel bereits in den Anfangstagen. „Ich erinnere mich, wie wir die Nachricht vom Tod des Vaters erhielten. In dem Brief befanden sich auch die Gegenstände, die er bei sich getragen hatte – sein Ehering und seine Uhr.“

Else Keusling und die Kinder begaben sich wie viele andere Flüchtlinge zum Pillauer Hafen. Von dort aus fuhren sie mit dem Schiff nach Kiel. Unterwegs wurde ein anderes Schiff von den Sowjets bombardiert und sank. Zusammen mit ihm mehrere Tausend Flüchtlinge, die an Bord gewesen waren. Die nächste Station von Else Keusling und den Kindern war Berlin. Die Stadt wurde jedoch kurz darauf massiven Bombenangriffen ausgesetzt. Alles brannte und die Sirenen heulten ohne Unterlass. Dort war es nicht mehr sicher. Eines Tages sah Bernhard Keusling Panzer der Roten Armee anrollen. Berlin war eingenommen. Die sowjetischen Soldaten befahlen Else Keusling, mit den Kindern in ihr Haus zurückzukehren. Der Rückweg war beschwerlich, denn die Straßen und Schienenwege waren bereits zerbombt.

Zuhause waren sie unerwünscht. Bernhard erinnert sich: „Als wir dort ankommen, hatten sich in dem Haus schon Russen eingerichtet. Alles war auseinandergenommen und zerschlagen. Wir sind dann in einem anderen, bereits zerfallenen Haus untergekommen.“ Es fehlt selbst am allernotwendigsten, vor allem an Essbarem. „Die Mutter begann auf dem Feld zu arbeiten und erhielt dafür ein wenig zu Essen. Sie gab alles uns, damit wir so wenig wie möglich hungern müssen. Ihre Kräfte schwanden bald, sie wurde krank und starb schließlich den Hungertod. Es war ein strenger Winter, wir hatten nichts, womit wir sie beerdigen konnten, daher lag ihr Leichnam lange bei uns im Haus. Schließlich kamen andere Frauen, brachten sie weg und legten sie in einen Schuppen.“ Einige Tage später starb auch Ilse vor Hunger. Sie wurde ebenfalls in den Schuppen gebracht und neben dem Leichnam der Mutter niedergelegt.

„Von da an war ich allein. Ich hatte nichts zu Essen, daher habe ich den Müll nach Essensresten durchsucht.“

1946 brachte eine fremde Frau Bernhard Keusling nach Litauen. Bernhard Keusling begann zunächst in Lybiškiai (heute Rajongemeinde Jurbarkas) zu betteln. Dann durfte er bei Pranas Streinys in Užšešuvis (heute Rajongemeinde Tauragė) Tiere hüten. Dort aber erhielt er bei den kleinsten Vergehen Schläge.

Danach nahmen Stasys und Petrė Gužauskai Bernhard auf. Sie lebten in dem gleichen Dorf. Sie kümmerten sich um Bernhard und ließen ihn sogar ein Jahr die Schule besuchen. Da das Paar die Partisanen unterstützte, wurde Stasys Gužauskas festgenommen und verurteilt. Bernhard blieb daraufhin der einzige Mann in der Familie und musste sich von da an um den Hof kümmern sowie in der Kolchose Pašaltuonys arbeiten.

1957 wurde die Sowchose Norkiškės gegründet. Bernhard wurde als Landmaschinenbediener eingestellt. 1959 erhielt er einen Pass und wurde sowjetischer Staatsangehöriger. Im gleichen Jahr wurde er in der Kirche von Batakiai (heute Rajongemeinde Tauragė) mit Ona Šetkute getraut. 1971 kam ihre Tochter Rasa zur Welt.

Zurückblickend sagt Bernardas Kizlingas: „Es sind keine schönen Erinnerungen. Ich habe durch den Krieg alles verloren: den Vater, die Mutter und die Schwester. Das hat das Schicksal mir bestimmt. Sie alle starben jung, und ich bin nun schon 80 Jahre alt.“

Am 3. September 2008 wurde Bernhard Keusling der Rechtsstatus als Besatzungsopfer (ehemals obdachloses Kind) zuerkannt.