Ella Karin Macik

Ella Karin Macik

Ella Karin Matimaitienė

 

Den Riemen musste ich selbst holen. Sie haben so fest zugeschlagen, dass das Blut herunterlief. Ich bin dann durch eine Allee mit Weiden davongerannt. Es hat geregnet, geblitzt und gedonnert. Ich bin unter einen Baum gekrochen und habe auf meine Mutter gewartet. Irgendwann musste sie doch kommen. Aber sie kam nicht...

 

Ella Karin Macik wurde am 3. Juli 1943 im ostpreußischen Skörin als Tochter von Artung und Emma Macik geboren. Ihr ältere Bruder Siegfried wurde am 8. Juli 1938 geboren.

Als der 2.Weltkreg begann wurde Artung Macik eingezogen und bald darauf für vermisst erklärt. Emma Macik wurde mit den Kindern in polnisches Gebiet evakuiert. Sie beschloss nach einiger Zeit nach Hause zurückzukehren, doch dort hatten sich bereits sowjetische Soldaten niedergelassen. Stattdessen fanden sie, die zweijährige Karin und der fünfjährigen Siegfried Unterschlupf im ehemaligen Tilsiter Zollgebäude. Sie wollte nur kurz das Haus verlassen um Wasser zu holen. „Da kam ein LKW mit sowjetischen Soldaten angefahren. Sie haben Mama verletzt und dann abtransportiert. Das war's dann...“ Mehr kann Ella Karin vom Verlust ihrer Mutter nicht berichten.

Die beiden Kinder überquerten daraufhin allein die Königin-Luise-Brücke und kamen nach Panemunė, auf litauisches Gelände. „Wir sind von Hof zu Hof gezogen, jedes einzelne Haus haben wir abgeklappert. Die Litauer dort wollten uns nicht aufnehmen. Damals war ich zwei und der Bruder fünf. Er hat mich niemals allein gelassen.“ Auf diese Weise zogen die Kinder ungefähr vier Jahre umher. Die ersten Menschen, die Ella Karin Macik über längere Zeit Obdach gewährten, waren die Bartkai in Vidgiriai (heute Rajongemeinde Pagėgiai).

Von ihrem achten bis um zwölften Lebensjahr lebte Ella Karin in Juknaičiai (heute Rajongemeinde Šilutė) bei einem deutschen Schneiderehepaar. Dort lebten außerdem die beiden deutschen Kinder Gerda und Fritz. Ella Karin war die Jüngste. Ihr Bruder Siegfried lebte damals im Dorf nebenan bei der Familie Lengvinaičiai. Die drei Kinder bei der Schneiderfamilie wurden ausgenutzt, geschlagen und bekamen minderwertige Nahrung. Die Schneider schickten Ella Karin schließlich nach Šilutė, weil sie dort auf die kleinen Kinder von Verwandten aufpassen sollte. Ihr Bruder Siegfried holte sie daraufhin wieder nach Juknaičiai zurück.

„Ab meinem 12. Lebensjahr habe ich als Bedienstete gearbeitet. Ich habe auf Kinder aufgepasst, Essen gekocht und das Vieh gefüttert.“ Mit siebzehn, achtzehn Jahren bekam Ella Karin für ihre Arbeit im Monat 15 Rubel. „Wenn man zu Essen bekommt, braucht man nicht viel Geld zum Leben“, sagt sie. Ab 1959 arbeitet sie in der Sowchose Piktupėnai (heute Rajongemeinde Pagėgiai) auf dem Feld. Voller Dankbarkeit denkt sie an die Familie von Jonas und Rasa Drąsutaičiai in Vidgiriai (heute Rajongemeinde Pagėgiai) zurück, die ihr damals sehr geholfen hat.

1964 heiratete Ella Karin Macik Jonas Matimaitis. Das Paar bekam die Tochter Inga und den Sohn Virginijus. 2014 feierten sie ihre Goldene Hochzeit.

Der Bruder Siegfried Macik ließ sich nach dem Wehrdienst bei der Sowjetarmee in Klaipėda nieder und wurde Matrose. 25 Jahre lang fuhr er zur See. 2009 ist er gestorben.

Um 1976 waren Ella Karin und ihr Bruder Siegfried noch einmal in der Heimat. Sie fanden das Elternhaus und sind im Garten spazieren gegangen. In dem Haus lebte eine russische Offiziersfamilie. Als sie den Ort zum zweiten Mal besuchten, fanden sie nur noch das verlassene Haus und den Schwenkbrunnen vor. Die anderen Gebäude waren schon verfallen. Wenn Ella Karin Macik-Matimaitienė an die Vergangenheit denkt, lässt sie eine Frage nicht los: „Wo ist meine Heimat? Ich möchte doch wie jeder andere Mensch auch eine Heimat haben. Aber ich muss mich zufrieden geben mit dem, was ich habe ...“

Am 2. Februar 2009 wurde Ella Karin Macik-Matimaitienė der Rechtsstatus als Besatzungsopfer (ehemals obdachloses Kind) zuerkannt.