Hannelore Schulz
Elena Petrauskaitė-Mikavičienė
„Ich bin den Menschen zu großem Dank verpflichtet. Ich hatte so viel durchmachen müssen…“
Hannelore Schulz wurde am 21. März 1936 im ehemaligen Königsberg in Ostpreußen geboren. Im Jahr zuvor wurde ihre Schwester Lieselotte geboren, 1938 kam der Bruder Karl-Heinz, 1939 die Schwester Irmgard zur Welt. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Walter Schulz Fabrikarbeiter. Er starb 1939 mit 24 Jahren an einer Lungenentzündung. Die Mutter blieb mit den fünf Kleinkindern allein. Etwas Unterstützung erhielt sie von Verwandten. Kurz darauf heiratete die Mutter zum zweiten Mal. 1941 wurde Peter, 1942 Ingrid geboren.
Im Frühjahr 1945 hatte die Rote Armee Königsberg umzingelt und die Stadt wurde massiv bombardiert. Hannelore Schulz fand mit ihrer Familie, ebenso wie viele andere Stadtbewohner auch, Schutz in einem Bunker. Dort wurden sie von sowjetischen Soldaten gefunden und hinaus gejagt. Damit begann das Rauben, Morden und Vergewaltigen. Hannelore erinnert sich: „Sie führten sich auf wie wilde Tiere. Sie griffen und erschossen Menschen, ohne sich zu kümmern, ob das Erwachsene oder Kinder waren. Die Straßen waren leichenübersät. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Für die Kinder war es entsetzlich, das mit anzusehen.“ Dann begann die Hungersnot. Hannelores jüngere Geschwister starben. Sie blieb allein mit der Mutter, der Schwester Lieselotte und dem Bruder Manfred zurück. Manfred ging bald darauf verloren. Nach einiger Zeit erfuhren die Schwestern, dass er überlebt und es nach Ostdeutschland geschafft hatte. Er starb 2012.
Hannelore irrte mit der Schwester durch die verwüstete Stadt und suchte überall nach Essensresten. Das Überleben war schwer, weshalb die Mädchen mit der Mutter 1947 beschlossen, in Litauen Essen zu beschaffen. Sie gerieten zunächst in die Gegend um Šilalė. Nachdem sie einiges Essbares zusammengesammelt hatten, fuhren sie zurück nach Königsberg. Kurz darauf wurde die Mutter von den Töchtern getrennt und in ein Lager gebracht. Hannelore fuhr drauf mit der Schwester zum zweiten Mal nach Litauen, abermals in die Gegend um Šilalė. Sie konnte die Schwester als Kindermädchen bei einer Familie aus Šilalė unterbringen, Hannelore selbst musste weiterziehen. Sie gelangte schließlich in die Gegend um Tauragė und erhielt Obdach bei den Bauern Petras und Marė Dikmonai. Diese stellten Hannelore allen Außenstehenden als Tochter ihrer verstorbenen Verwandten vor. Hannelore musste so schnell wie möglich Litauisch lernen und erhielt einen litauischen Namen. So wurde aus Hannelore Schulz Elena Petrauskaitė. Zur Schule gehen durfte sie nicht. Lesen und Schreiben brachte Hannelore sich selbst bei. 1952 wurde sie in der Kirche von Tauragė umgetauft, da sie einen Pass erhalten und medizinisch untersucht werden sollte.
Hannelores Mutter suchte ihre Tochter. Ungefähr 1950 schrieb sie einen Brief an einen Pfarrer aus Šilalė, der Hannelores Lieselotte kannte. Die Schwester beantwortete den Brief, doch dann wurde der Briefwechsel durch den Tod der Mutter abrupt unterbrochen.
Hannelore führte weiterhin die verschiedensten Arbeiten aus. Schließlich lernte sie Romas Mikavičius kennen, gründete mit ihm eine Familie und brachte eine Tochter zur Welt.
Auch die Schwester Lieselotte gründete eine Familie, 1997 reiste sie nach Deutschland aus.
Am 5. Mai 2010 wurde Elena Mikavičienė der Rechtsstatus als Besatzungsopfer (ehemals obdachloses Kind) zuerkannt.